
Title: Der ausgestopfte Barbar
Translator: György Buda
Publisher: Nischen
Year of publication: 2016
Der meisterhaft durchkomponierte, mit hervorragenden historischen Kenntnissen und feinen sprachlichen Trouvaillen verfasste, bis zuletzt spannende und zum Weiterlesen verführende historische Roman stellt die Arbeit von zehn Jahren dar, der Autor hat seine Dissertation über die Gestalt Angelo Solimans geschrieben und dazu im österreichischen Staatsarchiv, im Freimaurerarchiv und in der österreichischen Nationalbibliothek Nachforschungen angestellt.
Von den beiden Hauptakteuren des Romans dürfte den österreichischen Leserinnen und Lesern die Figur des Angelo Soliman bekannt sein.
Soliman (etwa 1720-1798) war zur Zeit der Aufklärung in Wien eine berühmte Persönlichkeit. Der Freimaurer und zahlreicher Sprachen mächtige Naturwissenschafter von Format kam im Kindesalter als Sklave, gleichsam ein „exotisches Geschenk“, aus Schwarzafrika nach Europa. Dank den Erziehungstheorien seiner Zeit bekam er am Fürstenhof eine hervorragende Ausbildung und wurde zu einem brillanten Geist seiner Epoche.
Er erhielt, zunächst am Hof des Fürsten Lobkowitz, dann in Wien als Höfling des Fürsten Liechtenstein eine vielfältige Bildung und bewegte sich in Kreisen der Freimaurer. Er bereiste Europa und pflegte gute Beziehungen zu Kaiser Joseph II., zu Ignaz von Born, dem großen Mineralogen und Meister vom Stuhl der Loge Zur wahren Eintracht. Angelo war zugleich Jahrmarktsattraktion, lebende Statue der Fremdheit, ein guter Unterhalter, scharfsinniger Wissenschafter, ein echter Universalgelehrter, der sich innerhalb der Naturwissenschaften speziell in die Medizinwissenschaften vertieft hatte, und der nach seinem Tod zum Symbol der Verhöhnung der Menschlichkeit wurde.
Dass jemand von seinen eigenen Freunden ausgestopft werden muss, ist eine wahrlich absurde Situation. Soliman kannte nämlich den Doktor und auch Franz Thaller, den Hofbildhauer, er war mit ihnen befreundet. Seine Haut wurde auf eine Statue aus Holz gespannt und als namenloses Exemplar seiner „Rasse“ im Hof-Naturalien-Cabinet, dem Vorgänger des Naturhistorischen Museums, ausgestellt, bis sie in einem Feuer bei den Kämpfen des Jahres 1848 zugrunde ging.
Erzählt wird der Roman von Sophie Török, der Witwe Kazinczys, einer frei denkenden, gebildeten, nach dem Maßstab ihrer Zeit emanzipierten Frau. Vor dem ausgestopften Körper Angelos erinnert sie sich an die Erzählungen ihres Mannes aus seiner Jugend, deren Schlüsselfigur der „schwarze Freund“ gewesen ist.
Was bedeutet es, in der Welt fremd zu sein? Als der ungarische Dichter in der ungarischen Nationaltracht und der dunkelhäutige „Lakai“ in bunten Seidenkleidern über den Wiener Graben flanierten, war es sicher schwer zu entscheiden, welcher der beiden hier fremder war.
Wer war Ferenc Kazinczy, der andere Held des Romans?
Kazinczy wurde 1759 als Sohn einer adeligen Familie geboren, er betätigte sich als Literaturübersetzer, Schriftsteller, Literaturorganisator und war eine Leitfigur der ungarischen Aufklärung von großem Ansehen. Er gründete das erste ungarische Literaturjournal, übersetzte Goethe, Shakespeare, Molière, dazu antike Autoren. Er nahm Teil an der Gründung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, verfasste Reiseberichte, das Tagebuch meiner Gefangenschaft ist ein herausragendes Werk der biographischen Literatur; an die sechshundert seiner Briefe sind bekannt.
Im Prozess um Martinovics wurde er wegen seiner Verbindungen zu den Freimaurern angeklagt. Der kaiserliche Hof milderte sein Todesurteil zur Freiheitsstrafe. Kazinczy verbrachte 2.387 Tage in diversen Gefängnissen, unter anderem auch in Kufstein. Während seiner Gefängnisjahre beraubte ihn seine Familie aller seiner Habe, nur ein kleiner Landsitz blieb ihm, Széphalom, wo er mit seiner Ehefrau Gräfin Sophie Török, die seine Bestrebungen unterstützte, versuchte, das Leben eines wahren Europäers zu führen. Die Tragödie seines Lebens war, dass er in einer ignoranten, despotischen und ungerechten Gesellschaft in einem von den Türken verwüsteten Gebiet gegen Ende des 18. Jahrhunderts versuchte, nach Lichtjahren entfernten westlichen kulturellen Maßstäben zu denken und zu leben.
Er starb 1831 als ein Opfer der Choleraepidemie, die damals über ganz Nordungarn hinwegzog.
Ferenc Kazinczy kämpfte für den Aufschwung seines Landes, doch unterlag er den Vertretern einer geistlosen, banalen Gesinnung.
Er war ein tragischer Kämpfer gegen Windmühlen, der daran glaubte, mit der Erneuerung der Sprache könne auch eine neue Welt errichtet werden, und dass die Menschen durch die Erschaffung einer Sprache der Freiheit besser, selbständiger, mutiger und klüger werden. Als ehemaliger Sträfling und Freimaurer lebte er in einem Umfeld der ständigen Verdächtigungen. Manche hassten ihn wegen seines Kosmopolitismus, andere wieder wegen seines Ungarntums.
„Ich musste noch viele Erfahrungen machen, um zu lernen: Ich bin nirgends zu Hause.“
Das Buch kann gleichermaßen als das Märchen des hoffnungslosen Kampfes eines verfluchten ungarischen Genies gelesen werden, als melancholische Kritik der Aufklärung sowie als Biographie gelehrter Geister von großer Bedeutung, denen besondere Leiden und Freuden zuteilwurden. Angelo Soliman und Ferenc Kazinczy waren trotz aller ihrer Unterschiedlichkeiten nicht nur Freunde, einer spiegelte vielmehr den anderen wider. Beide lebten ihr Leben als Gefangene, Kazinczy eingekerkert in seinem Geist, Soliman, dessen Gelehrtheit größer war als die vieler seiner Zeitgenossen, in seinem Körper.
Das Buch erzählt, wie menschliche Bosheit und Dummheit auf Idealen des Geistes und der Schönheit beruhende Existenzformen vernichtet.